Was ist ein Tendenzbetrieb?

on 29. August 2016 Tendenzbetrieb, Uncategorized with 0 comments

Zeitungsverlage sind Tendenzbetriebe, ebenso wie Krankenhäuser oder soziale Verbände. Deren Betriebsräte müssen all das können, was auch in „normalen“ Unternehmen von der Interessenvertretung erwartet wird. Doch sie müssen mehr wissen und sich wehren, wenn der Arbeitgeber mit dem Tendenzschutz tricksen will.

Was ist ein Tendenzbetrieb?

Betriebe mit unmittelbar und überwiegend ideeller Zielsetzung (§ 118 I BetrVG), z. B.:

  • Politische, koalitionspolitische, konfessionelle, karitative, erzieherische, wissenschaftliche oder künstlerische Bestimmungen oder
  • Zwecke der Berichterstattung oder Meinungsäußerung (Art. 5 I 2 des Grundgesetzes).

Zum Beispiel?

Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, Presseagenturen, Rundfunk und Fernsehen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Betriebe des Roten Kreuzes oder der Arbeiterwohlfahrt, Privatschulen, Theater, Museen, private wissenschaftliche Institute, politische Parteien.

Was hat es für Folgen, wenn mein Betrieb ein Tendenzbetrieb ist?

Auf Tendenzbetriebe finden einige Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes keine Anwendung, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht. Es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob und inwieweit dies der Fall ist.

Wenn eine Beteiligung des Betriebsrats zum Beispiel in einer Zeitungsredaktion die inhaltliche Freiheit der Redaktionsleitung einschränken würde, sind die Beteiligungsrechte des Betriebsrats eingeschränkt. Der Betriebsrat hat dann z.B. kein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 II BetrVG bei der Einstellung eines Redakteurs in einem Zeitungsunternehmen, da Redakteure „Tendenzträger” sind. Doch die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte des Betriebsrats bleiben in jedem Fall bestehen.

Dann macht BR-Arbeit im Tendenzbetrieb ja eigentlich gar keinen Sinn, weil der Arbeitgeber eh machen kann, was er will, oder?

Das ist definitiv nicht der Fall. § 118 BetrVG ist eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen ist. Das Bundesarbeitsgericht (BAG, 30.01.1990 – 1 ABR 101/88) sagt dazu: „Aus dem Wortlaut der Vorschrift, dass die Bestimmung des BetrVG nur insoweit keine Anwendung findet, als die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebes dem entgegensteht, ergibt sich, dass § 118 Abs. 1. BetrVG die Ausnahme von der Regel ist, dass der Betriebsrat nach den Vorschriften des BetrVG zu beteiligen ist“.

Was heißt das konkret?

Wenn der Arbeitgeber behauptet, eine Maßnahme falle unter den Tendenzschutz muss er begründen,

  1. ob, falls das zweifelhaft ist, der Betrieb überhaupt ein Tendenzbetrieb ist. Das ist meist schnell geklärt, doch das reicht nicht.
  2. Was der Arbeitgeber plant, muss zudem eine tendenzbezogene Maßnahme sein.
  3. Drittens muss sie einen Tendenzträger, also zum Beispiel einen Redakteur, einen Arzt, einen wissenschaftlich tätigen Arbeitnehmer, betreffen.

Nur, wenn diese drei Bedingungen zutreffen, kann der Arbeitgeber über den § 118 BetrVG die Beteiligungsrechte des BR einschränken. Dabei ist er in der Beweispflicht.

Wenn der BR jedoch anderer Meinung ist als Arbeitgeber, sollte er sich durch einen versierten Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten. Der kann entscheiden, ob die Angaben des Arbeitgebers zutreffend sind. Wenn nicht, gilt:

  • Über die Tendenzeigenschaft an sich entscheidet das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren.
  • Über die Berechtigung eines Widerspruchs im Kündigungsschutzprozess entscheidet das Arbeitsgericht im Urteilsverfahren als Vorfrage in diesem konkreten Prozess.
  • Bei Streit darüber, ob der BR zu einer Einstellung oder Versetzung seine Zustimmung verweigern durfte, gilt folgendes: Zunächst darf der Arbeitgeber die Maßnahme treffen. Dann trägt er aber das Risiko, dass er die Einstellung/Versetzung später rückgängig machen muss. Das ist der Fall, wenn der BR später vor Gericht mit seiner Auffassung Recht bekommt, dass es keine Tendenzmaßnahme war.
 Dann steht der Arbeitgeber blöd da und muss u. U. Gehalt zahlen, obwohl er die Arbeitsleistung nicht in Anspruch nehmen darf.
  • Außerdem gilt: Hat der Arbeitgeber den BR zu einer Einstellung/Versetzung gar nicht erst angehört, kann der BR allein deshalb ein Verfahren nach § 101 BetrVG führen (Zwangsgeld) – egal, ob Tendenzmaßnahme oder nicht.

Und wenn wir doch unsicher sind?

Jeder Betriebsrat im Tendenzbetrieb ist zunächst unsicher, denn die Rechtsmaterie ist kompliziert. Deshalb raten wir dringend, dass jedes Betriebsratsmitglied eine Schulung zu dem Thema besucht.

 

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Der Betriebsrat im Tendenzbetrieb