Mit Sicherheit zur Freistellung fürs Seminar

on 10. Juli 2014 BetrVG, Freistellung with 0 comments

In vielen Betrieben gibt es immer noch Diskussionen darüber, ob eine Schulung erforderlich sei und ob der Arbeitgeber die Kosten tragen müsse oder nicht. Dabei ist der Streit so nervenaufreibend wie sinnlos – denn die Arbeitsgerichte, das Bundesarbeitsgericht und die Kommentare zum Betriebsverfassungsgesetz geben hierzu klare Antworten. Wir haben für Sie Punkt für Punkt zusammen getragen, was Ihnen zusteht und was nicht.

Bei der Auswahl der Schulungsveranstaltungen müssen Betriebsräte einige Kriterien beachten, auf die wir hier näher eingehen wollen.
Die Kriterien sind:

  1. Inhalte der Veranstaltung
  2. Betriebliche Relevanz des Schulungsthemas
  3. Dauer der Veranstaltung
  4. Zahl der zu entsendenden Betriebsratsmitglieder
  5. Kosten der Veranstaltung

1. Inhalte der Veranstaltung

Freistellungen sowie die Kosten müssen gewährt werden für alle Schulungen, die Kenntnisse über Themen vermitteln, die für die BR-Arbeit erforderlich sind. Das sind zum Beispiel Kenntnisse rechtlicher Art, spezielle Sachthemen wie Schichtpläne, Tendenzschutz oder Mobbing sowie die methodische und organisatorische Gestaltung der BR-Arbeit (Vorsitzenden-Seminar, Zeitmanagement).

Das Bundesarbeitsgericht unterscheidet zwischen Grundlagenwissen und Spezialwissen. Zum Grundlagenwissen gehören Kenntnisse des Betriebsverfassungsgesetzes, des allgemeinen Arbeitsrechts, des Tarifrechts und der Arbeitssicherheit. Jedes BR-Mitglied sowie die ersten Ersatzmitglieder brauchen das Grundlagenwissen, und zwar in jedem Fall und ohne eine Einzelfallprüfung. Alle Seminare im Rahmen der Basisausbildung (Basis I bis V) sowie die Arbeitsrechts-Schulungen I und II sind Grundlagenwissen. Spezialwissen steht dem Betriebsrat als Gremium zu. Die Freistellungen müssen daher nicht allen Mitgliedern, sondern nur einem Teil gewährt werden.

2. Betriebliche Relevanz des Schulungsthemas

Seminare zum Grundlagenwissen sind immer relevant; sie gehören zum Grundrüstzeug jedes einzelnen Betriebsratsmitgliedes. Hier bedarf es keiner Einzelfallprüfung.

Seminare aus dem Bereich des Spezialwissens sind dann relevant, wenn Wissen vermittelt wird, das sich direkt auf Betriebsratsaufgaben beziehen lässt. Der BR muss dieses Wissen aktuell anwenden können, oder es muss ein demnächst anstehendes Thema sein. Wenn es also z. B. um Mobbing geht, muss der BR Anhaltspunkte dafür haben, dass dieses Phänomen im Betrieb existiert. Soweit der BR ein Initiativrecht hat, kann er jedes Thema zu einem „demnächst anstehenden“ machen – d. h. der BR bestimmt hier selbst, ob es betrieblich relevant ist. Hierzu muss er aber erst seine Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte kennen – sonst bleibt Initiativrecht erst mal ein Fremdwort (bei perspektiven werden in Basis II die Initiativrechte behandelt).

3. Dauer der Veranstaltung

Die Rechtsprechung hat bei Grundlagenschulungen bereits 14-tägige Veranstaltungen anerkannt, was der Dauer einer Schulung in der DGB Bundesschule in Hamburg-Volksdorf entspricht. Drei- bis viertägige Schulungen wie bei perspektiven sind in den Schulungsprogrammen der verschiedenen Anbieter höchst selten. Von der Dauer her können unsere Seminare daher niemals ein Problem sein.

4. Zahl der zu entsendenden Betriebsratsmitglieder

a) Grundlagenwissen
Die Vermittlung von Grundlagenwissen des Betriebsverfassungsgesetzes und des Arbeitsrechts ist für alle Betriebsratsmitglieder unabdingbare Voraussetzung. Dies gilt auf jeden Fall für alle ordentlichen BR-Mitglieder (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts).

Für Ersatzmitglieder sind Grundlagenschulungen dann notwendig, wenn sie oft oder regelmässig „einspringen“ müssen. Das gilt grundsätzlich für das erste, ggf. auch für weitere Ersatzmitglieder. Ein praktikabler Grundsatz lautet: Nehmen Ersatzmitglieder im Durchschnitt an ca. einem Viertel aller Sitzungen teil, dann sind sie auch zu schulen.

Für BR-Mitglieder mit Vorkenntnissen gilt: Wiederholungs- und Vertiefungsschulungen sind nach einer gewissen Zeit notwendig. Wissen, das nicht aufgefrischt wird, veraltet. Das Betriebsverfassungsgesetz und das Kündigungsschutzgesetz werden immer mal wieder reformiert. Und die Arbeitsgerichte haben neue Entscheidungen zu vielen Aspekten des Betriebsverfassungsrechtes getroffen. Das alles hat selbstverständlich Einfluss auf den Inhalt unserer Basisseminare, deren Konzepte wir ständig der aktuellen Entwicklung angepasst haben.

b) Spezialwissen
Betriebsratsarbeit ist sehr vielfältig und die Anforderungen an die Betriebsräte werden immer grösser. Daher ist eine Aufgabenverteilung nötig. BR-Mitglieder, die spezielle Aufgaben im BR übernehmen, müssen für diese auch geschult werden. Wie der BR seine Posten verteilt, bleibt ihm überlassen.

Betriebsratsvorsitzende und Stellvertreter sowie Freigestellte benötigen intensivere Schulungen, besonders zu Themenbereichen aus dem Spezialwissen. Das Spezialwissen steht auf jeden Fall nicht allen BR-Mitgliedern zu, sondern dem Gremium. Das bedeutet, dass der BR Anspruch auf die Freistellung einer bestimmten Zahl von BR-Mitgliedern hat. Die Rechtsprechung nennt keine konkreten Zahlen; aus Erfahrung sollten jedoch

  • in kleinen BR (1 bzw. 3köpfig) 1 Mitglied
  • in mittleren BR (5 bzw. 7köpfig) 2 Mitglieder
  • in grösseren BR (9 bzw. 11köpfig) 3 Mitglieder

für Spezialschulungen freigestellt werden können. Auch die Freistellung von 7 von 15 BR-Mitgliedern für eine Spezialschulung ist bereits anerkannt worden, z. B. bei aktuell bevorstehenden Sozialplanverhandlungen zu einem Seminar „Verhandlungsführung“.

Nach unserer Erfahrung akzeptieren verständige Arbeitgeber die Schulung des gesamten Gremiums auch für Spezialseminare, insbesondere, wenn es um grundlegende Beteiligungs- und Mitbestimmungsfragen geht.

5. Kosten der Veranstaltung

Obwohl Gesetzgeber und Rechtsprechung hierüber am wenigsten sagen, sind die Kosten wohl der häufigste Streitpunkt zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern. Die Häufigkeit und Heftigkeit des Streits steht im umgekehrten Verhältnis zu seiner rechtlichen Bedeutung. Für den, der den Interessengegensatz verstanden hat, ist das leicht erklärlich. Arbeitgeber rasseln bei den Kosten gern die Säbel. Aber die Säbel sind stumpf, wenn der Betriebsrat zwei Grundsätze beachtet.

Erster Grundsatz: Ist ein Seminar erforderlich im Sinne der vorangegangenen Kriterien, dann hat der Arbeitgeber auch die Kosten zu tragen. Dazu gehören Seminargebühren, Übernachtung und Verpflegung, Reisespesen, Lohnfortzahlung, Lehrmaterialien und alles.

Zweiter Grundsatz: Neben der Erforderlichkeit hat das Bundesarbeitsgericht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit näher erklärt. „Verhältnismäßig“, sagt das BAG, heißt nicht billig. Auch ist der BR nicht verpflichtet, aus mehreren Angeboten das billigste auszuwählen. Das BAG setzt andere Kriterien:

Danach hat der Betriebsrat zu überprüfen, ob „die Schulungskosten unter Berücksichtigung des Inhalts und des Umfangs des vermittelten Wissens mit der Grösse und der Leistungsfähigkeit des Betriebs zu vereinbaren sind.“ Damit soll verhindert werden, dass der BR mit seinen Kosten den Arbeitgeber überfordert. Das ist die einzige Grenze. Denn, so heißt es weiter: „Nicht angewandt werden kann der Grundsatz der Verhältnismässigkeit allerdings, soweit mit seiner Hilfe die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers von vornherein auf allgemeines und durchschnittliches Niveau ‚festgeschrieben’ werden sollte. (…) Die Einschränkung der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers durch den Grundsatz der Verhältnismässigkeit (besser wohl der Unverhältnismässigkeit) bedarf daher stets einer konkret betriebsbezogenen Begründung.“

Dabei sucht sich der Betriebsrat die Schulung aus. Das heisst, er sucht sich die Qualität, die er will. Der BR ist nicht verpflichtet, den kostengünstigeren Schulungsanbieter zu buchen, sondern er darf dem aus seiner Sicht qualitativ höherwertigen Angebot den Vorzug geben. Das gilt auch dann, wenn die BR-Mitglieder zur Schulung anreisen müssen, obwohl es vor Ort einen billigeren Anbieter gibt.

Wenn der Betriebsrat diese Regeln beachtet, wird er keine Probleme mit der Freistellung für Schulungen bekommen. Oder, falls doch, bei einem eventuellen Streit seinen Schulungsanspruch zur Not gerichtlich durchsetzen können.

 

Praxis-Tipp:

Für die Freistellung zur Schulung muß der BR noch folgende Regeln einhalten:

1. Die Freistellung muss in einer ordnungsgemäßen Betriebsratssitzung beschlossen worden sein.

2. Die Beschlussfassung muss bereits in der Tagesordnung der Sitzung vorgesehen sein

3. Der Beschluss muss im Protokoll stehen und dem Arbeitgeber mitgeteilt werden.

Hierfür haben wir für Sie zwei Musterschreiben als PDF-Datei beigefügt:
Die Tagesordnung und den Beschluss mit der Mitteilung an den Arbeitgeber.