Wie Leiharbeit die Arbeitsplätze

der Stammbelegschaft gefährdet

on 25. Oktober 2016 BetrVG, Leiharbeit, Uncategorized with 0 comments

Schlechte Bezahlung, permanente Unsicherheit: Leiharbeit hat in Deutschland einen schlechten Ruf. Denn die Leiharbeitnehmer sind nicht nur selbst in einer desolaten sozialen Situation, nein: Ihre Beschäftigung ist auch ein Risiko für die Stammbelegschaften. Ein Zeitungs-Betriebsrat hat jetzt eine interessante höchstrichterliche Entscheidung dazu erwirkt.

Etwas unter einer Million Arbeitnehmer (genau: 951.000 Anfang dieses Jahres) lassen sich von ihren Arbeitgebern „verleihen“. Die Behauptung der Leiharbeits-Befürworter, diese prekäre Form der Beschäftigung schaffe Arbeitsplätze, ist falsch:

Die Nachhaltigkeit von Beschäftigungsaufnahmen in der Zeitarbeit ist niedriger als im Durchschnitt über alle Branchen, stellte die Bundesanstalt für Arbeit fest. Nur 60 % der Beschäftigten, die aus der Arbeitslosigkeit in die Zeitarbeit gehen, sind sechs Monate später noch in Lohn und Brot. Und die Löhne liegen deutlich unter den im Durchschnitt über alle Branchen erzielten Entgelten.

Aus den Betriebsräten im perspektiven-Netzwerk hören wir immer wieder, dass ihre Unternehmen freiwerdende Stellen vermehrt mit Leiharbeitnehmern besetzen. Und wenn Betriebsräte ihre Rechte wahrnehmen und gegen Mehrarbeit vorgehen, spielt die Personalabteilung schon mal großes Entgegenkommen: Zur Entlastung der Abteilungen, so das Angebot, könne man ja einen Zeitarbeitnehmer anfordern.

Doch Vorsicht: Nicht selten übernehmen Leiharbeitnehmer – ebenso wie als „Aushilfen“ bezeichnete Dauer-Beschäftigte – Aufgaben, für die bisher eine ausgebildete Fachkraft zuständig war. Das ist gefährlich. Für die Stammbelegschaft steigt der Arbeitsdruck, weil der Leiharbeitnehmer verschiedene anspruchsvolle Aufgaben gar nicht erledigen kann. Doch er ersetzt trotzdem die Stundenzahl einer vollständigen Arbeitskraft! Damit ist für den Arbeitgeber der Beweis erbracht, dass er ohne Not Personalkosten einsparen kann.

Betriebsräte können dagegen etwas unternehmen: Gemäß § 99 BetrVG muss der BR vor der Einstellung eines Zeitarbeitnehmers gehört werden. Und er darf seine Zustimmung verweigern, wenn der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer ständig einsetzt. Das entschied das Bundesarbeitsgericht im Falle eines Zeitungsverlages. Der Fall ist beispielhaft:

Der Verlag beteiligte sich an einem Verleihunternehmen. Darin stellte er Frau S. als „Sachbearbeiterin für die Prämienwerbung“ ein. Pikantes Detail: Frau S. hatte ihre Ausbildung in diesem Zeitungshaus erfolgreich abgeschlossen und hätte auch im Normalarbeitsverhältnis beschäftigt werden können. Doch das wollte der Arbeitgeber partout nicht.

Denn der Einsatz von Frau S als Leiharbeitnehmerin folgt der Logik der Personalpolitik der Arbeitgeberin. Diese hatte zunächst im Jahr 2005 damit begonnen, die Arbeitsplätze in der Rotationsendverarbeitung dauerhaft mit Leiharbeitnehmern zu besetzen. Im Dezember 2006 teilte sie dem Betriebsrat mit, sie beabsichtige, ab dem 1. April 2007 alle neu zu besetzenden Stellen nur noch mit Leiharbeitnehmern zu besetzen. Ziel der Arbeitgeberin war es, eine aus ihrer Sicht notwendige Strukturveränderung der Personalkosten – also eine Kostenreduzierung – zu erreichen.

Der Betriebsrat widersprach nun der Einstellung von Frau S. gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 4 BetrVG: Die Maßnahme verstoße gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), genauer: Sie stelle einen Missbrauchstatbestand des Gesetzes dar (Ziffer 1). Die Mitarbeiter der Stammbelegschaft würden ebenso benachteiligt (Ziffer 3) wie die Leiharbeitnehmerin selbst (Ziffer 4).

Der Arbeitgeber beantragte daraufhin beim Arbeitsgericht, die Zustimmung zu ersetzen. Damit war er vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht erfolgreich, doch der überaus engagierte und konfliktkluge BR ging vor das Bundesarbeitsgericht (BAG) – und siegte.

Das BAG in Erfurt erkannte, dass die Einstellungspolitik des Arbeitgebers einen Missbrauch des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) darstelle. Der BR hat korrekt argumentiert, als er in seiner Zustimmungsverweigerung geltend machte, die dauerhafte Ausleihe von Leiharbeitnehmern führe zur Umwandlung von Stammarbeitsplätzen in Leiharbeitsplätze. Genau das widerspricht dem § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG.

 

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